Corona, Krieg, Inflation: Auch am Tag der Deutschen Einheit sind diverse Protestzüge geplant - gerade in den neuen Bundesländern.
Update vom 3. Oktober, 17.45 Uhr: In mehreren Städten sowie Gemeinden in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gingen tausende Menschen auf die Straße, um laut dem MDR für eine freie Impfentscheidung, die Abschaffung aller Corona-Beschränkungen, die Öffnung der Gaspipeline Nord-Stream 2 sowie die hohen Energiekosten zu demonstrieren. Gegenüber dem MDR Sachsen teilte ein Polizeisprecher mit, die Demonstrationen seien friedlich verlaufen.
Erstmeldung vom 3. Oktober: München - Die Blicke sollen sich an diesem Tag der Deutschen Einheit nach Erfurt richten. In Thüringens Hauptstadt finden die offiziellen Feierlichkeiten ihren Höhepunkt. Geplant ist eine Rede von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz (alle SPD) sind geladen. Wie der MDR berichtet, sollen 2000 Polizisten für die Sicherheit der Veranstaltung sorgen.
Auch in diversen anderen Städten - gerade in den neuen Bundesländern - werden sich die Ordnungshüter aber auf viel Arbeit am offiziellen Feiertag zur Wiedervereinigung vor 32 Jahren einstellen müssen. Denn es sind zahlreiche Demonstrationen angemeldet, die auf die Energiepolitik, die Sanktionen gegen Russland, die Waffenlieferungen an die Ukraine im Zuge des Kriegs oder die Maßnahmen in der Corona-Pandemie abzielen.
Es könnte ein erster Wink werden, wie ungemütlich die unter den Protest-Planern als „heißer Herbst“ und „Wutwinter“ beworbenen kalten Monate ausfallen können. Auch wenn viele Protestzüge wohl friedlich ihre Sorgen in die Öffentlichkeit tragen wollen. Angekündigt sind Kundgebungen etwa in Berlin, Leipzig, Gera, Plauen, Magdeburg, Chemnitz, Halle oder Oschersleben. Aufgerufen haben etwa die AfD, die als rechtsextrem eingestuften „Freien Sachsen“, das Bündnis „Chemnitz steht auf“, die „Oscherslebener Wölfe“, die rechtsextreme Kleinpartei „Der III. Weg“, die „Handwerker für den Frieden“ oder die Bürgerinitiative „Bewegung Halle“.
Abzuwarten bleibt, wie groß der Zulauf ausfällt. In Berlin sind laut Polizei für die allermeisten Demos weniger als 250 Menschen angemeldet. Eine Ausnahme bildet demnach der Protestzug „Heizung, Brot und Frieden“, bei dem 1000 Teilnehmer erwartet werden, wie rbb24 unter Berufung auf die Polizei schreibt. Mit eher geringem Zulauf hatten auch viele bisherige Demos zu kämpfen.
So berichtet die ARD-„Tagesschau“, laut dem Magdeburger Protestforscher David Begrich vom Verein „Miteinander“ gehe im Osten Deutschlands derzeit vor allem ein „Protestkern“ auf die Straße. Doch unter anderem Linke-Chef Martin Schirdewan meinte im Gespräch mit der dpa: „Wir sind erst am Anfang der Mobilisierung.“ Er ist überzeugt: „Da wird noch einiges kommen. In den nächsten Wochen erhalten viele die stark erhöhten Abschlagsrechnungen für Gas und Strom. Das betrifft Millionen Menschen.“ Wie die AfD ist auch die Linke in diesen Zeiten auf der Suche nach den Unzufriedenen, die sich abgehängt und schlimmstenfalls alleingelassen fühlen.
Mit einer Zunahme der Demos rechnet laut Medienberichten auch das Bundeskriminalamt. Dirk-Martin Christian, Chef des sächsischen Verfassungsschutzes, warnte in der Leipziger Volkszeitung: „Wir müssen uns auf dieses Szenario einstellen.“ Er skizziert, wie sich einige Gruppen die Krise zunutze machen: „Die berechtigten Sorgen und Nöte der Bürger dienen den Rechtsextremisten nur als Vehikel für ihre verfassungsfeindliche Agenda.“
Dass gerade die Bürger in Ostdeutschland schneller auf die Straße zu gehen scheinen, erklärt die aus Gera stammende Grünen-Politikerin Paula Piechotta der dpa so: „Grundsätzlich treffen die hohen Energiepreise und die Teuerungen insgesamt natürlich alle bundesweit, allerdings gibt es im Osten weniger Vermögen, einen höheren Anteil kleiner Unternehmen mit weniger Rücklagen und geringere Einkommen.“
Die statistisch belegte größere Unzufriedenheit in den neuen Bundesländern hat der promovierten Radiologin zufolge auch etwas mit den Erfahrungen der Vergangenheit zu tun: „Der Eindruck mancher im Osten ist, und das muss man nicht teilen, zweimal die Arschkarte gezogen zu haben, 1945 und in den 90er Jahren, mit jeweils traumatisierenderen Umbrüchen als in Westdeutschland.“ (mg)