Wie funktioniert ein mechanisches Uhrwerk?

2022-10-08 18:10:46 By : Mr. Arvin Du

Ein mechanisches Uhrwerk ist ein kleines Wunder der Präzision und Miniaturisierung. Manche Komponenten in seinem Inneren sind hauchdünn und doch so robust, dass sie im rauen Alltag am Handgelenk einiges klaglos wegstecken. Wer schon einmal einem Uhrmacher über die Schulter geschaut hat, wird gestaunt haben ob der Anzahl winziger Teilchen, die mikrometergenau ineinandergreifen und so das reibungslose Funktionieren gewährleisten.

Doch ein sogenanntes Basiswerk, das lediglich die Zeit mit drei Zeigern anzeigt, ist eigentlich gar nicht so kompliziert. Oft wirkt es komplexer, da die Komponenten im Werk so eng ineinander verschachtelt sind, um den geringen vorhandenen Platz optimal auszunutzen.

Wie jeder sich selbst bewegende Apparat benötigt ein Uhrwerk Energie und folglich einen Energiespeicher. Bei einer Quarzuhr ist es die Batterie, welche die elektrische Energie für den Antrieb bereithält. Bei einer Armbanduhr hingegen wird die kinetische Energie in einer spiralförmigen Stahlfeder gespeichert, die im Inneren eines grossen dosenförmigen Zahnrads aufgewickelt ist, dem sogenannten Federhaus.

Das äussere Ende der Spiralfeder ist an der Innenwand des Federhauses befestigt, während das innere Ende auf einer drehbaren Achse feststeckt, die wiederum über die Krone in einer Richtung gedreht werden kann. Zieht man seine Uhr auf, dreht man über verschiedene Zahnräder diese Achse. Das vernehmliche Klicken stammt von einem Klinkenmechanismus, der dafür sorgt, dass diese Achse, der sogenannte Federhauskern, sich nur in eine Richtung drehen lässt, und verhindert, dass die gespannte Feder ihre Energie via Krone wieder verpuffen lässt.

Beim Aufziehen schmiegen sich die Windungen der Feder aneinander und bilden schliesslich ein enges Paket um den Federhauskern, das nicht weiter komprimiert werden kann. Bei Uhren mit Handaufzug ist dieser Punkt gut spürbar. Die Uhr lässt sich dann nicht weiter aufziehen. Um das Reissen der Feder zu verhindern, besitzen die meisten Uhren heute jedoch einen Sicherheitsmechanismus, der die Krone kurz vor Vollaufzug stoppt.

An seinem äusseren Rand ist das Federhaus mit einem Zahnkranz versehen, der bereits ins erste Rad des Uhrwerks eingreift. Wäre dort kein Widerstand, würde sich das Federhaus blitzschnell drehen und all seine Energie in einem Sekundenbruchteil abgeben. Zwischen dem Federhaus als Energiespeicher und der Hemmung als Taktgeber befinden sich bei einer normalen Uhr lediglich drei Zahnräder, die sich im Energiefluss befinden. Jedes dieser Zahnräder besitzt zwei verschiedene Verzahnungen; eine grosse, gut sichtbare und eine eng an der Achse anliegende mit viel weniger Zähnen, das sogenannte Trieb.

Bereits das erste Rad treibt einen der drei Zeiger unseres Beispiels an. Es ist das Minutenrad, auf dessen verlängerter Achse in der Regel der Minutenzeiger steckt. Es vollführt eine ganze Umdrehung in einer Stunde und bewegt sich somit bereits um ein Vielfaches schneller als sein Antrieb, das Federhaus, das sich pro Tag typischerweise bloss viermal um die eigene Achse dreht.

Diese in unserem Beispiel sechsfache Beschleunigung wird durch eine mechanische Übersetzung erreicht: Der grosse Zahnkranz des Federhauses greift in das kleine Trieb mit sechsmal weniger Zähnen, das auf der Achse des Minutenrades steckt. Bei einer Übersetzung ist es immer das kleine Trieb, das die Energie vom vorherigen Zahnrad empfängt, und der grosse Zahnkranz, der sie ans nächste Trieb weitergibt. Bei einer Untersetzung verhält es sich umgekehrt.

Das nächste Rad, das Kleinbodenrad, dreht sich im Gegenuhrzeigersinn und kann deshalb für keine Anzeige gebraucht werden. Es dient als weitere Übersetzungsstufe zum dritten Rad, dem Sekundenrad, das sich bereits sechzigmal schneller dreht als das Minutenrad und eine Umdrehung pro Minute vollführt. Bei Uhren mit «kleiner Sekunde» unterhalb der Zifferblattmitte sitzt der Sekundenzeiger meist direkt auf der Achse dieses Rades. Das Sekundenrad treibt bereits das für die Unterteilung der Zeit wichtige Hemmungsrad an, doch dazu weiter unten. Einstweilen nur so viel: Mit 12 Umdrehungen pro Minute dreht sich das Hemmungsrad zwischen 5000 und 6000 mal schneller als das Federhaus.

Sie werden sich bestimmt gefragt haben, wo die Stundenanzeige bleibt. Bis jetzt war lediglich vom Minuten- und vom Sekundenzeiger die Rede. Der Stundenzeiger, der auf einem dünnen Rohr um die Achse des Minutenzeigers in der Mitte des Uhrwerks steckt, wird über einen Umweg via ein separates Zahnrad angetrieben. Dieses sogenannte Wechselrad ist ausserhalb des Kraftflusses zwischen Federhaus und Hemmung angeordnet. Da sich der Stundenzeiger zwölfmal langsamer dreht als der Minutenzeiger, handelt es sich hier um eine Untersetzung.

1. Federhaus 2. Minutenradtrieb 3. Minutenrad 4. Kleinbodenradtrieb 5. Kleinbodenrad 6. Sekundenradtrieb 7. Sekundenrad 8. Hemmungsradtrieb 9. Hemmungsrad 10. Anker 11. Unruh-Spiralsystem (Quelle: Theorie der Uhrmacherei)

1. Minutenrohr 2. Wechselrad 3. Wechselradtrieb 4. Stundenrad 18. Minutenzeiger 19. Stundenzeiger (Quelle: Theorie der Uhrmacherei)

Das letzte Element im Räderwerk einer Uhr ist die sogenannte Hemmung. Sie macht sich akustisch durch das Ticken des Uhrwerks bemerkbar. Ihre Arbeit wird sichtbar, wenn man die äussere Spitze des Sekundenzeigers genau beobachtet. Man wird dann feststellen, dass dieser sich nicht gleichförmig bewegt, sondern in kleinen Sprüngen, zwischen denen er kurz stillsteht. Er steht sogar länger still, als er in Bewegung ist.

Die Hemmung wirkt wie eine genau dosierte Bremse, die dafür sorgt, dass sich die Räder der Uhr mit konstanter Geschwindigkeit bewegen. Sie tut das jedoch nicht durch Reibung, sondern durch Stoppen der Bewegung in regelmässigen Abständen. Ihr Name beschreibt, was sie tut: Sie hemmt das unkontrollierte Ablaufen des Räderwerks. Gesteuert wird sie durch die Unruh, ein Schwungrad, das dank einer hauchdünnen Spiralfeder wie ein Pendel hin- und herschwingen kann und weitgehend vom restlichen Uhrwerk entkoppelt ist.

Auf dem Weg jeder ihrer Halbschwingungen entriegelt die Unruh das Werk für einen kurzen Moment, der den Sekundenzeiger zur nächsten Position springen lässt, und bekommt ihrerseits vom Werk Energie, um mit gleichbleibender Amplitude weiterschwingen zu können, ähnlich einem Kind auf der Schaukel, das von seiner Mutter regelmässig angeschubst wird.

Zur Übertragung dieser Impulse in beide Richtungen dient ein winziges Element, das wegen seiner Form «Anker» heisst. Wie die drei Komponenten Hemmungsrad, Anker und Unruh zusammenspielen, erfahren Sie im nächsten technischen Beitrag zur Hemmung.

In unserer neuen Rubrik «Uhren-Master» klärt unser Uhren-Experte Timm Delfs regelmässig die komplizierteren Dinge der Uhrenwelt.

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