Zum Herrgott in den ersten Stock. Wotruba-Kirche in Wien

2022-10-09 12:34:23 By : Ms. cynthia wang

Architekten: formann ² puschmann | architekten zt, Wien Tragwerksplanung: Karner Consulting, Wien

Text: Wojciech Czaja Fotos: Dorian Janauer, Michael Baumgartner, Jakob Börner

»In meinen Träumen ist eine Vision von der Macht des Schönen und der Kraft des Hässlichen, von der Leichtigkeit des Schwebenden und dem Gleichgewicht der schweren Massen«, sagte der Wiener Bildhauer Fritz Wotruba, während er die Kirche Zur Heiligsten Dreifaltigkeit – sein Lebenswerk, wie sich bald herausstellen sollte – aufs Papier brachte. »Dieser Bau soll zeigen, dass Chaos nur durch Gesetz und Ordnung überwunden werden kann. Diese Grundlage ist die Voraussetzung für ein Überleben.«

152 rohe Betonblöcke unterschiedlichster Form, mannigfaltig dimensioniert und scheinbar willkürlich übereinandergestapelt, stehen und liegen wie ein geometrisches Konglomerat auf der Hügelkuppe des Georgenbergs in Wien-Mauer, an der Schnittstelle zwischen Villenviertel und Naturschutzgebiet, und stellen seit ihrer Fertigstellung 1976 durch dessen Partnerarchitekten Fritz Gerhard Mayr, ein Jahr nach Wotrubas Tod, die in dieser Stadt wahrscheinlich spannendste Symbiose zwischen Baumeisterei und Bildhauerei dar. Der Innenraum, thermisch umschlossen von fast unscheinbaren Fensterfüllungen, ist auf diese Weise nicht mehr als das Nichts in der Mitte einer megatonnenschweren Skulptur.

Seit der Einweihung der Wotruba-Kirche vor mehr als 45 Jahren sind auch die damaligen Gründungsmitglieder um ein gutes Stückchen gealtert. Viele konnten kaum noch den steilen Serpentinenweg zum Eingang erklimmen. Für eine ältere Dame, erinnert sich Architekt Stefan Puschmann, der in dieser Gemeinde aufgewachsen ist und das Gotteshaus vom ersten Tag an kennt, glich der sonntägliche Gang in die Messe einem Aufstieg auf den Mount Everest. Vor rund zehn Jahren kam daher der Wunsch auf, die ausschließlich über Stufen und abgetreppte Rampen erreichbare Kirche barrierefrei zu erschließen.

Zu Beginn entwickelten die Gemeindemitglieder ein paar potenzielle Entwurfsvarianten, doch schon bald wurde klar, dass das denkmalgeschützte Mammutprojekt im Südwesten Wiens nach einer professionellen Lösung verlangt. Gemeinsam mit seinem Partner Christian Formann, mit dem er das Büro f2p betreibt, entwickelte Puschmann schließlich die Idee, den schmalen, wehrhaften Zugang ins UG der Kirche aufzubrechen und stattdessen ein luftiges, verglastes Portal mit Lift, neuem Foyer und kleinem, einsehbarem Gemeinderaum zu errichten.

»Der bisherige Zugang unter der Wotruba-Kirche, wo sich ein rund 150 m² großer Pfarr- und Veranstaltungssaal befindet, war schmal, dunkel, unattraktiv und wurde erst nach Wotrubas Tod ausformuliert«, erinnert sich Puschmann. »Weder funktional noch bauplastisch stand dieser Zugang in irgendeiner Relation zur sich darüber befindlichen Kirche. Unser Entwurf basiert auf der Überlegung, gar nicht formal oder bauplastisch einzugreifen, sondern lediglich die Wiese dieser Hügelkuppe wie einen Teppich anzuheben und die neuen, benötigten Funktionen unter dem Teppich in den Hang hineinzuschieben.« Sobald man sich auf den Weg hinauf zur Kirche gemacht hat, ist die architektonische Geste des Aufklappens kaum noch zu sehen.

Und dennoch sorgte der Entwurf von f2p von Beginn an für Kopfschütteln und Entsetzen in der Architektenschaft sowie für Unstimmigkeiten in den Reihen des Bundesdenkmalamts. Zu transparent, zu unsensibel, zu wenig dem Geiste Wotrubas entsprechend. Das Vorhaben einer barrierefreien Wotruba-Kirche spaltete schon bald die Architekturszene. Und plötzlich waren Formann und Puschmann die Buhmänner.

Betrachtet man die Kirche Zur Heiligsten Dreifaltigkeit vom Norden aus als statisches Bollwerk, dann irritiert der Eingriff in der Tat, denn durch das Anheben der Wiese scheint dem Bestand irgendwie das Fundament entzogen. Nähert man sich dem Gebäude jedoch anhand Wotrubas Wegechoreografie im slalomartigen Zickzack und begreift man die XXL-Skulptur da oben als ein dynamisches, sich ständig wandelndes Gebilde, so verliert sich der erste Eindruck nach nur wenigen Schritten. Das Konzept von f2p hat eine bestechende Logik und der Blick auf die materiellen und konstruktiven Details zeigt, dass Wotrubas Bauwerk sorgfältig analysiert, ernsthaft weitergedacht und um seine eigenen Schwächen bereinigt wurde.

Die transparente Fassade besteht aus riesigen Dreischeibenverglasungen mit eigens angefertigten Edelstahlprofilen und einem rund 12 m langen Stahlkämpfer in Überkopfhöhe. Die einzige, statisch notwendige Abstützung gegen die Durchbiegung der Unterkonstruktion wurde ganz unscheinbar in eine dünne, mit Holz bekleidete Türzarge integriert. Der Seminarraum ist rundum mit Lärchenpaneelen bekleidet, die man an zwei Stellen aufklappen kann – dahinter verbirgt sich einmal ein buntes Gemälde, einmal ein großer Flachbildschirm. In Farbton und Maserung ist die Holzcharge jenen alten Tafeln, die im benachbarten unterirdischen Pfarrsaal in den 70er Jahren verbaut wurden, so gut angeglichen, dass kaum ein Unterschied zu bemerken ist.

Auch die Qualität des Sichtbetons passt sich in jeder Hinsicht der Charakteristik der Wotruba-Kirche an. Einerseits ist die Textur so fleckig und unregelmäßig wie das Original (ein paar Quadratmeter der alten Betonwand dienten den Betonierern tatsächlich als stilistisches Vorbild), andererseits sind die rechtwinkeligen Kanten scharf und präzise, der Anblick des Schalungsbildes und der punktgenau gesetzten Ankerlöcher wiederum löst in jedem Architektur-Monk himmelhochjauchzendes Entzücken aus.

Schließlich der Aufzug. »Der Lift war ein ziemlich komplexes Projekt für sich«, erklärt Stefan Puschmann, »denn wir wollten die Konstruktion und Aufzugstechnik auf ein Minimum reduzieren. Immerhin geht es hier um eine gewisse Archaik.« Statt einer Seilkonstruktion kam ein hydraulischer Stempel zum Einsatz, auf massive Stahlträger konnte somit verzichtet werden. Die Verkabelung ist – mit Ausnahme eines erforderlichen Sicherheitsschalters – innerhalb der Stahlbetonwand und der wenigen, verbauten Stahlprofile geführt.

An der Erdoberfläche präsentiert sich das Lifthäuschen als gläserne Box mit Verbundsicherheitsglas und sehr schlanken, ebenfalls auf das konstruktive Minimum ausgereizten Punkthalterungen. Ein dünnes, schwertartig auskragendes Vordach bietet unter Gottes Firmament zumindest symbolischen Witterungsschutz. Auffällig sind die darüber liegenden, öffenbaren Lüftungslamellen – eine thermische Maßnahme gegen Überhitzung im Sommer. »Im Winter dagegen fällt die kalte Luft im Schacht ab und würde über die undichten Liftschiebetüren ins Foyer quellen, was den Innenraum massiv abkühlen würde«, sagt Puschmann. Damit das nicht passiert, gibt es für die kalte Jahreszeit vor der eigentlichen Lifttür eine zweite, thermisch dichte Isolierglas-Flügeltür. Des Architekten knappes Resümee: »Ein Glaslift zwischen Innenraum und Außenraum? Wir haben viel gelernt. Nie wieder!«

Die Maßnahmen in der Wotruba-Kirche selbst sind fast unscheinbar: Zwischen Lift und Kirche wurde ein eckiger, kartesischer Weg betoniert. Dem Nebeneingang musste zugunsten der Barrierefreiheit die archaische Betonschwelle genommen werden. Tür und Türstock wurden zu diesem Zweck verlängert und mit angeschweißten Edelstahl-Applikationen ergänzt. Der Rest ist unverändert.

Insgesamt schlägt das bei manchen umstrittene, von vielen hingegen dringend herbeigesehnte Projekt mit rund einer Million Euro Bruttobaukosten zu Buche. Finanziert wurde der unterirdische Erweiterungsbau von der Erzdiözese Wien, von diversen Sponsoren aus der Bauwirtschaft sowie – zu einem sehr großen Anteil – aus Mitteln der Gemeindemitglieder in Form von Spendengeldern und eines zehnjährigen Kredits. In der architektonischen, baukulturellen Bewertung dieses viel diskutierten Projekts sollte die Zufriedenheit genau dieser aktiven, engagierten Nutzergruppe nicht außer Acht gelassen werden. Wie steht doch auf der Glasscheibe zum Seminarraum in Klebebuchstaben geschrieben? »Wir suchen Strukturen, die helfen statt behindern. Wir heißen Neue und Neues willkommen und erfreuen uns an der Vielfalt.« Mission geglückt. Amen.

Standort: Ottillingerplatz 1, 1230 Wien Bauherr: Erzdiözese Wien Architekten: formann ² puschmann | architekten zt, Wien Tragwerksplanung: Karner Consulting, Wien Unterbaute Fläche Anbau UG: 174,18 m² Bebaute Fläche Lift EG: 5,06 m² Nutzfläche des Anbaus: 136,32 m² Volumen: 390,00 m³

Beteiligte Firmen: Sichtbeton: Berghöfer Hoch- und Tiefbau, Wien, www.berghoefer.at Edelstahlportale: Profilsystem Forster UNICO Hi von Forster Profilsystem, Wiener Neudorf, www.forster-profile.ch Automatischer Türantrieb und Türschließer: ED 250 New Generation EN4-6 und Gleitschienen-Türschließer DORMA TS 93, beide von dormakaba Austria, Herzogenburg, www.dormakaba.com Lift: Hydraulischer Stempellift, Aufzugstyp HP-P, von SCHMITT + SOHN AUFZÜGE, Wien, www.schmitt-aufzuege.de

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