Warum es so lange dauert, bis der Lift kommt - digitec

2022-10-09 14:03:48 By : Ms. Cindy Qu

Wie entscheidet ein Aufzugsystem, welcher Lift welches Stockwerk anfährt? Oder anders: Warum kommt bei mir der verdammte Lift nie, wenn es pressiert? Ein Blick in eine mir bislang fremde Technik.

Wieder einmal warte ich vor dem Aufzug und frage mich, warum er nicht kommt. Klar, jemand könnte die Tür blockiert haben, aber dann müsste der Lift nebenan in die Bresche springen. So langsam aber sicher nimmt mich wunder, wie diese Liftsteuerungen überhaupt funktionieren. Steckt da vielleicht sogar so etwas wie künstliche Intelligenz drin? Oder künstliche Dummheit?

Es kann natürlich sein, dass der Aufzug gar nicht so lange braucht und mir das lediglich so vorkommt. Schliesslich stehe ich nicht mit der Stoppuhr vor der Tür und führe Statistik über die Wartezeiten. Tatsächlich kennt die Psychologie verschiedene Gründe, warum sich die Wartezeit oft länger anfühlt, als sie in Wirklichkeit dauert:

Trotzdem bin ich mir sicher, dass ich mir die Wartezeiten nicht nur einbilde. Dafür muss es technische Gründe geben.

Programmierer sind bestens vertraut mit dem, was jetzt kommt: Algorithmen. Ein Algorithmus ist eine Abfolge von Handlungsanweisungen. Er sagt dem Aufzug, nach welchem System er die Aufträge abarbeiten soll. Beispielsweise könnte der Algorithmus lauten: Fahr bis ganz nach oben und bediene dabei alle Gäste, die in diese Richtung wollen. Dann fahr ganz nach unten und tu dasselbe. Oder: Fahr immer zu der Person, dessen Stockwerk am nächsten bei dir liegt. Oder: Fahr zur Person, die schon am längsten wartet.

Es ist klar, dass je nach Situation mal der eine, mal der andere Algorithmus schneller ist. Ein komplexer Algorithmus könnte sogar in nützlicher Frist (weniger als eine Sekunde) einen Transportplan berechnen, der für die jeweilige Situation am besten ist (dazu gibt es eine Präsentation des Mathematikers Jörg Rambau). Doch das Grundproblem ist, dass sich die Situation laufend ändert. Während der Lift ein Stockwerk bedient, erhält er neue Aufträge von Personen, die gerade im oder vor dem Lift irgendeinen Knopf gedrückt haben.

Das ist der wohl wichtigste Grund, wieso es hin und wieder zu ungewöhnlich langen Wartezeiten kommt. Auch der beste Algorithmus kann nicht wissen, was als nächstes passiert. Wenn du zum Beispiel vor der Tür stehst und gerade ein Lift in die richtige Richtung vorbeigefahren ist, hast du Pech gehabt. Der Lift hat seinen Fahrplan bereits gemacht und kehrt jetzt nicht um. Das würde die Personen, die bereits im Lift sind, ziemlich verwirren oder sogar verärgern.

Jeder wird also hin und wieder Opfer einer ungünstigen Konstellation. Daher fragt sich: Welcher Algorithmus arbeitet im Durchschnitt am effizientesten, also unter ganz verschiedenen Bedingungen?

Drei Mathematiker der Universität Wien haben in einer Studie genau das untersucht. Folgende Algorithmen wurden empirisch getestet:

Die Simulation wurde mit verschiedenen Szenarien durchgeführt: Verschiedene Gebäude (Anzahl Stockwerke, Anzahl Lifte mit unterschiedlicher Kapazität und Geschwindigkeit), und unterschiedliches Personenaufkommen. Die Mathematiker haben auch Stosszeiten berücksichtigt. Morgens im Bürogebäude wollen alle vom Haupteingang hinauf, abends alle zum Haupteingang runter.

Wenig überraschend ist der simple Algorithmus der langsamste. Mit Abstand. Hingegen erstaunt mich, dass der zufallsgesteuerte Mechanismus genau so effizient ist wie Nearest Neighbor. Und sogar besser als der Sektor-Algorithmus. Das Problem an der Sektorzuteilung ist, dass der Lift an wartenden Personen vorbeifährt, die er gerade so gut hätte mitnehmen können. Dieser Nachteil wiegt bei den Stosszeiten besonders schwer. Und die Stosszeiten sind entscheidend, denn bei geringem Personenaufkommen arbeiten alle Algorithmen mehr oder weniger zufriedenstellend.

Der Lift, der immer die am längsten wartende Person anfährt, ist der gerechteste, aber nicht der effizienteste. Möglicherweise verhindert er auch extrem lange Wartezeiten, auch wenn er insgesamt schlechter ist. Leider machen die Autoren der Studie dazu keine Angaben.

Aus dem Paper geht nicht klar hervor, nach welchem Prinzip die Aufrufe der wartenden Personen erfolgen. Es gibt Systeme mit nur einer Taste («Lift komm zu mir»), solche mit zwei Tasten («Ich will hinauf/hinunter») und auch solche, wo du bereits im Gang das Stockwerk wählen kannst.

Mit zwei Tasten dürften sämtliche Algorithmen effizienter arbeiten als mit einer, denn so halten nur Lifte an, die bereits in der richtigen Fahrtrichtung unterwegs sind. Allerdings kommt es bei den Zweiknopfsteuerungen zu Effizienzverlusten von bis zu 30 Prozent, wenn jemand aus Versehen die falsche Taste drückt. Das kann bei einer Eintastenbedienung logischerweise nicht passieren.

Wenn du schon im Gang dein Stockwerk wählen kannst, weiss das System von Anfang an, welche Personen das gleiche Fahrziel haben. Diese Information wird genutzt, um die Zwischenstopps zu minimieren. Das heisst, es verkürzt sich nicht die Wartezeit, sondern die Fahrzeit. Sinnvoll ist dies vor allem in Hochhäusern. Obwohl sich die Wartezeit verlängern kann, soll unter dem Strich die Förderleistung um 15 bis 20 Prozent höher sein.

Übrigens: Falls der Aufzug sprachgesteuert ist und nie kommt, liegt das daran, dass die Personen schottisch sprechen, wie das Video zeigt.

Welche Algorithmen nun tatsächlich wo eingesetzt werden, habe ich nicht herausgefunden. Klar ist: Es gibt ganz verschiedene Liftsysteme, je nach Baujahr und Anforderungen. Mittlerweile sind auch selbstlernende Systeme im Einsatz. Diese überprüfen laufend das Personenaufkommen in den verschiedenen Stockwerken und die gewünschten Fahrziele und passen sich entsprechend an. So können kritische Stosszeiten besser bewältigt werden.

Bleibt noch die letzte ungelöste Frage der Liftsteuerung. Bewirkt der «Türe-schliessen-Knopf» wirklich etwas oder ist das ein reiner Placebo-Knopf, der nur dazu da ist, dich während des Wartens zu beschäftigen? Meine Theorie: Die Antwort wird von den Liftherstellern geheim gehalten, damit wir uns die Wartezeit verkürzen, indem wir darüber diskutieren.

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.  mehr

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